Bisher ging es auf meinem Blog vor allem um das Thema Leben mit Blindheit. Ich wollte versuchen den Menschen, die meine Beiträge lesen ein Gefühl davon zu vermitteln, wie mein Leben mit Behinderung funktioniert. Über meine Adoptivkindgeschichte habe ich jedoch bisher selten gesprochen. Dabei spielt dieses Detail eine mindestens genau so große Rolle in meinem Leben, wie meine Blindheit. Und ich glaube, dass es genauso wichtig ist über das Thema Adoption zu sprechen, wie über das Thema Blindheit. Deshalb möchte ich erzählen von meinen Erfahrungen, Gefühlen und Herausforderungen als blindes Adoptivkind in Deutschland.

Leben mit einem Trauma

Adoptiert werden ist ein Frühkindliches Trauma! Als ich zum ersten mal über diese Aussage gestolpert bin war ich geschockt und reagierte erstmal mit Ablehnung. Das, was ich als Kleinkind erlebt habe soll ein Trauma sein? Und ich folglich ein traumatisierter Mensch? Um es gleich vorwegzunehmen: meine Adoptivgeschichte ist trotz aller Herausforderungen und emotionalen Kämpfe eine sehr positive Geschichte. Ich habe eine tolle Adoptivfamilie und eine tolle leibliche Familie und genieße das Privileg, von beiden Familien geliebt zu werden. Und trotzdem soll mein Leben mit einem Trauma begonnen haben?

Nachdem ich mich eingehender mit mir, meiner Persönlichkeit und der Forschung über Adoptivkinder beschäftigt habe kam ich zur Erkenntnis, dass die Beschreibung Trauma durchaus sehr zutreffend ist. Ein Trauma erlebt zu haben bedeutet zunächst vor allem, eine Situation durchzumachen, die Gehirn und Emotionen weder verstehen, noch verarbeiten können.Ein psychisches und emotionales Trauma ist eine Verletzung der Seele, die so stark ist, dass es unsere Seele nicht Schaft diesen Schmerz zu verarbeiten und heilen zu lassen. Dadurch entstehen Spuren und Narben in unserer Seele, die uns ein Leben lang begleiten können. Ähnlich wie bei körperlichen Narben gelingt es uns zumeist ganz gut mit den Seelischen Narben zu leben. Jedoch bleiben wir durch die Verletzungen immer empfindlich und die Narben können durch viele Trigger neu aufgerissen werden.

Im Falle einer Adoption erlebt das Kind die Trennung von seiner Mutter als unglaublich erschütterndes Erlebnis. Vielleicht kann man sich im Ansatz vorstellen, wie schlimm diese Trennung für ein Kleinkind ist, wenn wir Babys und ihre Mütter beobachten. Solange die Mutter in der Nähe ist fühlt sich das Kind sicher und geborgen, aber sobald sich die Mutter auch nur für einen Moment entfernt, fängt das Baby an sich unwohl zu fühlen, zu Schreien und zu weinen.

Mütter haben eine ganz besondere Beziehung zu ihrem Baby und umgekehrt genauso. Ist auch kein Wunder, denn schließlich verbringen wir die ersten 9 Monate im Bauch von unserer Mutter. Wir werden von ihr ernährt, wir hören ihre Stimme und bauen somit eine unvergleichlich tiefe Verbindung zu unseren Müttern auf, die von tiefsten Vertrauen geprägt ist. Wird ein Kind direkt nach der Geburt von seiner Mutter getrennt, hinterlässt dies gravierende Spuren in der Seele des Kindes, die wir Adoptivkinder unser ganzes Leben deutlich spüren werden. In einem weiterem Beitrag werde ich mich eingehender mit den Auswirkungen einer Adoption und den Spuren in meinem Leben auseinandersetzen. Als Einstieg soll es das für heute mit dem Exkurs in die Psychologie gewesen sein.

Schwierige Startbedingungen

Curitiba ist eine Großstadt in Südbrasilien mit heute knapp 2 Millionen Einwohnern. Wegen der Sauberkeit, einer innovativen Stadtplanung, dem wahrscheinlich besten ÖPNVs in Brasilien und den vielen Grünflächen wird es oft als Ökohauptstadt Brasiliens bezeichnet. Obwohl der Süden Brasiliens was Lebensstandard betrifft die fortschrittlichste Region ist machen Armut und soziale Ungerechtigkeit auch hier keinen halt.

Irgendwo in dieser Stadt kam ich im Dezember 1994 als zweites Kind meiner leiblichen Mutter auf die Welt. Da meine leibliche Mutter in sehr ärmlichen Verhältnissen lebte und nicht über die Kapazitäten verfügte zwei Kinder gleichzeitig zu ernähren entschied sie sich schweren Herzens schon sehr früh in der Schwangerschaft mich zur Adoption freizugeben. Und so schickte sie ihren kleinen Sohn direkt nach der Geburt auf eine lange Reise, die mich bis nach Deutschland führen sollte. Aber der Reihe nach:

Zunächst landete ich in einem Kinderheim, welches für brasilianische Verhältnisse wohl ein sehr gutes und liebevolles Kinderheim war. Leider ging auf dem Weg ins Kinderheim die Information meiner leiblichen Mutter für die Ärzte im Krankenhaus verloren, dass in meiner Familie die Augenkrankheit Glaukom gehäuft auftritt, sodass man im Kinderheim lange nichts von der Verschlechterung meines Sehvermögens wusste. Als man es bemerkte konnten mir die Augenärzte nicht helfen, da sie weder über das nötige Wissen, noch über die richtige Ausrüstung verfügten. Die zumeist männlichen Augenärzte taten mir mit ihren Untersuchungen vermutlich sehr weh und konnten trotz mehreren Operationen nicht verhindern, dass ich innerhalb der ersten Anderthalb Jahre mein Augenlicht auf dem linken Auge vollständig verlor und rechts nur noch ein minimaler Sehrest blieb, der unter 1% Sehstärke lag. Bis auf den für mich sehr unangenehmen Kontakt mit den Augenärzten hatte ich, bis ich meinen Adoptivvater mit anderthalb Jahren kennenlernte wohl kaum bis gar keinen Kontakt zu Männern, eine Tatsache, die heute noch Spuren hinterlässt: ich baute als erstes Kontakt zu meiner Adoptivmutter und Schwester auf und war gegenüber meinem Adoptivvater und Bruder zurückhaltender und distanzierter. Auch heute beobachte ich, dass ich in meinem Freundeskreis oft schneller eine tiefere Beziehung zu meinen weiblichen Freunden aufbauen kann, wie zu den männlichen Freunden. Es ist nichts, was ich bewusst steuern kann, aber es passiert trotzdem immer wieder und ist mit Sicherheit auf die Geschehnisse in Brasilien zurückzuführen.

Während ich also in dem Kinderheim getrennt von meiner leiblichen Familie und Erblindet aufwuchs, wuchs auch die Sorge, wie es mit mir nach dem zweiten Jahr weiter gehen sollte. In dem Heim hätte ich nur bis zu meinem zweiten Geburtstag bleiben können und hätte dann in ein staatliches Heim mit wesentlich schlechteren Bedingungen gemusst. Es wurde also nach einer Adoptivfamilie gesucht. Die Suche im Umfeld meiner leiblichen Familie blieb jedoch ebenso Erfolglos, wie die Suche in Brasilien. Auch die internationale Ausweitung(war nur wegen meiner Behinderung möglich) brachte zunächst kein neues zu Hause.

Ein kleines Kind auf Weltreise

In Curitiba gibt es eine diakonische Arbeit, die hauptsächlich von Diakonissen(Evangelische Schwesternschaft, die sich diakonisch engagiert) getragen wird. Die Irmandade evangélica Bethânia wurde durch Diakonissen aus Deutschland gegründet und hat sich zur Aufgabe gemacht Kindern, Jugendlichen, und Erwachsenen Bildung und Erziehung zu ermöglichen und Menschen zu unterstützen, ihre Entwicklung bewusst zu gestalten.Ziel ist es, dem Menschen zu dienen und dabei das Evangelium von Jesus Christus im Alltag weiterzugeben. Die Angebote reichen hierbei von Kindergarten und Grundschule, Weiterbildungen für erwachsene und Kultur und Sportangebote.

Diese Diakonissen in Curitiba sollten noch eine prägende und zentrale Rolle auf meinem Weg nach Hause zu meiner Adoptivfamilie spielen. Da die Arbeit in Curitiba immer noch wesentlich von dem Schwesternhaus in Marburg unterstützt wird bestanden und bestehen immer vielfältige Beziehungen zwischen den Diakonissen in Deutschland und Brasilien. Und so konnte eine junge Frau aus Deutschland ein Praktikum bei den Diakonissen absolvieren, was sie unter anderem auch in das Kinderheim führte, indem ich lebte. Und wie es Gott wollte verliebte sich die junge Praktikantin ausgerechnet in mich und hätte mich vielleicht selbst adoptiert, wenn sie die Kapazitäten dafür gehabt hätte. So erzählte sie den Diakonissen von meiner Geschichte und bat sie, sich um mich zu kümmern. Diese Namen sich dieser Aufgabe an und nutzten auch ihre vielfältigen Beziehungen nach Deutschland. Die Suche in einer Kirchengemeinde blieb erfolglos, jedoch hatte der Pfarrer dieser Gemeinde gute Beziehungen zur christlichen Zeitschrift Idea Spektrum, die schließlich eine Suchanzeige für Eltern für ein kleines brasilianisches blindes Kind veröffentlichten.

Szenenwechsel: Gladenbach bei Marburg im Hessischen Hinterland. Ein ruhiges beschauliches Städtchen. Großstadtleben und Brasilien scheinen hier Lichtjahre entfernt. Im Stadtteil Gladenbach-Mornshausen lebt der dort ansässige Pfarrer mit seiner Frau und seinen Beiden Kindern. Er war schon immer begeisterter Leser der Zeitschrift Idea Spektrum, die einmal wöchentlich erscheint. In der Woche, in der die Anzeige veröffentlicht ist ist hat der Pfarrer mehr Zeit als sonst für die Lektüre und beginnt intensiv die Zeitung von vorne bis hinten zu studieren. Zur gleichen Zeit ist seine Frau unterwegs. Als sie nach Hause kommt zeigt ihr Mann begeistert die Suchanzeige, beide spüren sofort, dass Gott sie mit dieser Anzeige anspricht. Sie melden sich sofort bei der angegebenen Adresse und werden auch als in frage kommende Eltern auserwählt. In den nächsten Wochen und Monaten beginnt für Familie Schneider eine aufregende Zeit voller Vorbereitungen, Hoffnung, Rückschläge, Bangen und letztlich wieder Hoffen. Eine Auslandsadoption ist nicht leicht zu bewerkstelligen und viele Hürden stellen sich der Familie in den Weg. Doch schließlich brechen sie nach Brasilien auf, um diesen Jungen, der ein neues zu Hause sucht kennenzulernen. Die Kontaktaufnahme ist mehr als holprig; für einen Kleinen Jungen, der in Anderthalb Jahren bereits das Trauma der Trennung von der Mutter und das Trauma der Erblindung verkraften musste ist es nicht einfach, wenn fremde Menschen mit einer ganz anderen Sprache, Stimmen und Gerüchen kommen und dich mitnehmen. Es ist wohl daher nur zu normal, dass ich anfangs mehr als misstrauisch gegenüber meiner neuen Familie war. Glücklicherweise ließen sich meine Adoptiveltern von den anfänglichen Schwierigkeiten aber nicht entmutigen und so gewöhnten wir uns schritt für Schritt aneinander. Vier Wochen später ging es für mich auf große Reise, einmal um die halbe Welt von der Südbrasilianischen Großstadt Curitiba in die beschauliche deutsche Kleinstadt Gladenbach im hessischen Hinterland. Für mich war es wohl erneut eine riesige Umstellung. Ich musste mich an eine neue Umgebung, neue Menschen, neue Sprache, neue Gerüche und eine neue Kultur gewöhnen. Sicher alles andere als einfach für ein Kind, was knapp zwei Jahre alt ist und schon mehrere Traumata erlebt hat. Sprachlich lernte ich Deutsch quasi wie meine eigene Muttersprache; in Brasilien hatte ich wohl gerade mit dem Sprechen begonnen. Wie prägend trotzdem der Einfluss der portugiesischen Sprache war durfte ich viel später merken, als ich anfing meine eigentliche Muttersprache neu zu lernen. Ich hatte schon immer ein Gefühl für portugiesisch und das erlernen fällt mir trotz Schwierigkeiten durch die Blindheit gefühlt leichter als bei anderen Sprachen. Heute ist es für Brasilianer überraschend, dass ich über einen vergleichsweise kleineren Wortschatz verfüge, aber eine nahezu perfekte Aussprache habe, die fast vergleichbar mit Muttersprachlern ist. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Adoptivkinder ihre Muttersprache nie vergessen und das Gehirn die Sprache in gewisser Weise abspeichern, auch wenn die Landessprache der neuen Heimat die erste Muttersprache scheinbar verdrängt. Lernen muss ich portugiesisch trotzdem mit allen Herausforderungen, die das Sprache lernen so mit sich bringt, aber ich habe eine natürliche Affinität zu Portugiesisch, die es mir viel einfacher macht. Ich spreche daher gerne von Erster Muttersprache(Portugiesisch) und zweiter Muttersprache(Deutsch). Als Adoptivkind habe ich ja auch zwei Mütter.

Heimat in der Fremde und Leben in Zwischenwelten

Die Eingewöhnungsphase verlief positiv, ich gewöhnte mich mit der Zeit an mein Zu Hause und wuchs in einem behüteten und sehr liebevollen Elternhaus auf. Meine Eltern sprachen von Anfang an offen über meine Adoption und waren immer bereit Fragen zu beantworten. Den Tag, an dem sie mich aus dem Kinderheim abholten feiern wir bis heute als deutschen Geburtstag. Ich wuchs wie ein deutsches Kind in den späten 90ern und frühen 2000ern auf und zeigte zunächst wenig Interesse an meiner alten Heimat. Wahrscheinlich lies mir die Umstellung und Eingewöhnung auch keine Kapazitäten; wahrscheinlich konnte mein Gehirn und Emotionen den Kulturwechsel auch nicht verarbeiten und reagierten dann mit Verdrängung und Desinteresse. Schlagartig veränderte sich dies, als meine Familie einen Brasilianischen Gastschüler für ein Jahr aufnahm. Somit hatte ich plötzlich wieder eine echte Verbindung zu meiner alten Heimat. Thomaz wurde wie ein großer Bruder für mich und erzählte mir viel von dem Land, indem ich geboren wurde. Ich begann mich mehr und mehr für meine Wurzeln zu interessieren und identifizierte mich auch zunehmend mit Brasilien. Zudem machte ich durch meine Hautfarbe schon viel zu früh Erfahrungen mit Rassismus und lernte somit, dass ich doch nicht so typisch Deutsch und irgendwie anders bin.

Die ersten intensiveren Fragen nach meinen Wurzeln kamen in der Pubertät. Brasilien war plötzlich mehr als nur das faszinierende unbekannte, sondern ein (noch) unbekannter Teil meiner Identität, den ich entdecken wollte. Mein Interesse ging nun weit über Brasiliens Fußball und die Lebensmittel, die man hier kaufen konnte hinaus; ich begann im Internet viel über Brasilien zu lesen und hatte bald das Gefühl, dass ich theoretisch fast alles über Brasilien wusste, mir aber die emotionale Verbindung fehlte. Dies führte zu vielen Identitätsfragen: Wo komme ich her? Wer bin ich? Warum wollte mich meine leibliche Mutter nicht haben?

In dieser Zeit hatte ich nicht nur die Adoptivfragen zu tragen, sondern auch mit den Herausforderungen durch meine Blindheit zu kämpfen. Seit der dritten Klasse war ich Inklusionsschüler und ging mit lauter sehenden Mitschülern in eine Klasse. Bei allem, was an meiner Geschichte in Deutschland auch positiv ist; das Leben als schwarzes, blindes Adoptivkind ist alles andere als einfach. In der Schule erlebte ich sowohl Rassismus wegen Herkunft und Hautfarbe, als auch Diskriminierung wegen meiner Behinderung. Dies wirkte sich besonders negativ auf mich aus, da mich die Traumata der Trennung von meiner Mutter und Das Trauma der Erblindung ohnehin schon in viele Identitätskrisen stürzten. Ich habe über vieles nie ausführlich gesprochen und viel mit mir selbst ausgemacht, weil mir die Worte fehlten für dass, was in meiner Seele passierte. Viele Adoptivkinder kämpfen mit der Angst vor Auskrenzung, Ablehnung und Einsamkeit. Schwarz sein und eine Behinderung zu haben sind leider Dinge, weswegen man sich sehr oft ausgegrenzt und nirgends dazugehörig fühlt. Ich hab mich oft sehr einsam Gefühlt und nach Orten gesehnt, an denen ich einfach so akzeptiert werde wie ich bin. In meiner Familie hatte ich diese Rückzugsorte, aber außerhalb war es sehr schwierig. Hinzu kam auch, dass ich keine Schicksalsgenossen hatte, mit denen ich mich austauschen kann. Durch die Inklusion hatte ich nur wenig Kontakt zu anderen Blinden, auf dem hessischen Land gab es kaum Schwarze und erst recht keine Brasilianer und Adoptivkinder mit einer Behinderung habe ich bis heute noch nicht kennenlernen dürfen.

Wie groß die Seelischen Wunden sind sollte ich später in einer langjährigen Beziehung erleben, die sehr Toxisch war und täglich Triggerpunkte berührte, die die Wunden der Traumata neu aufrissen.

Mixed-Culture-Life: Zu Hause in zwei Welten

Mitten in diese Beziehung hinein kam der Wunsch meine leibliche Familie zu finden. 2017 machte ich mich auf die Suche und fand meine Familie schließlich auch innerhalb von wenigen Monaten. Über die Suche und das Kennenlernen schreibe ich an anderer Stelle ausführlich. Der Kontakt verlief von anfang an sehr positiv. Es ist für mich bis heute ein großes Wunder nach all den Jahren seine 10.000Km entfernte Familie wiederzufinden und zu erleben, dass beide Seiten aneinander interessiert sind. Ich fand meine Mutter, die unter schweren Depressionen litt, weil sie nie darüber hinweggekommen ist, ihr Kind weggegeben zu haben, und meine ältere Schwester und jüngeren Bruder.

Schnell war klar, dass wir uns unbedingt treffen müssen. Für 2018 war die große Familienvereinigung geplant, scheiterte jedoch an meiner Beziehung und meinen damaligen Lebensumständen. Für meine Familie in Brasilien und auch für mich war das Platzen der Reise ein harter Rückschlag. Glücklicherweise konnten wir den Kontakt trotz der Enttäuschungen aufrecht erhalten. Da ich anfangs kein portugiesisch sprach konnte ich nur mit Google-Übersetzer Nachrichten mit ihnen austauschen. Für Telefonate und Skype-Gespräche erklärte sich Thomaz, der als Gastschüler in unserer Familie gelebt hat bereit für uns zu übersetzen. Seinem Einsatz und seiner Hilfe ist es zu Verdanken, dass meine Familie und ich uns so gut kennenlernen durften.

2020 gab es einen Ausweg aus der Toxischen Beziehung und eine sofortige Veränderung meiner Lebensumstände. Jedoch verhinderte die Covid-Pandemie und der Verlust meiner Augen 2022 ein frühzeitigeres Treffen. 2023 war es dann jedoch endlich soweit und ich konnte nach Brasilien fliegen und meine Familie treffen. Ich erlebte 4 Wochen voller Emotionen, Freude und Glück in Brasilien. Ich war von Anfang an ein Teil meiner brasilianischen Familie, es fühlte sich so an, als wäre ich nur für einen Kurzurlaub in Europa gewesen. Brasilien hat schon immer zu mir gehört und wird auch immer zu mir gehören. Ich bin in Deutschland aufgewachsen und bin dankbar für all das, was mir hier ermöglicht wurde und natürlich bin ich auch Deutscher geworden. Mein Herz ist wohl aber immer brasilianisch geblieben und fühlt brasilianisch. Das ist keine Entscheidung von mir, sondern etwas was ich nicht steuern kann. Ich bin Deutsch-Brasilianer, ein Mixed-Culture-Mensch und beide Seiten und Familien gehören zu mir.

2 Kommentare zu „Zwischenwelten: Das ist meine Adoptivkindgeschichte

  1. ja, Adoption ist ein Trauma, jedoch kann Gott es auch heilen, sodass jemand nicht für immer empfindlich bleibt und irgendwelche Dinge aufgerissen werden. Es macht sensibler für andere, die sich mit dem Thema beschäftigen, sollte jedoch nicht als Entschuldigung für etwas missbraucht werden.

  2. Jedes Trauma verursacht Narben, und Narben hinterlassen immer Spuren, die ein Leben lang bleiben, aber ich glaube auch, dass Gott diese für etwas positives verwenden kann und auch Verletzungen heilen kann. zur Wahrheit gehört aber auch, dass eigentlich so ziemlich alle Menschen trotz Heilung auch auf eine gewisse Art und Weise sensibel bleiben und diese Spuren auch bleiben. Das ist in Ordnung, und ich glaube, der wichtigste Schritt zur Heilung ist, sich selber und vor anderen einzugestehen, dass man mit manchen Themen ziemlich lange zu kämpfen hat und dass sich das dann auch in unserem Leben auswirkt. das ist dann meiner Meinung nach kein Missbrauch des Traumas, sondern ein ehrlicher und reflektierter Umgang. ist ein bisschen so wie mit meiner Blindheit: ich lerne auch positiv, damit umzugehen und mein Alltag trotzdem gut zu meistern, aber wenn ich nicht zugeben würde, dass ich es deswegen trotzdem manchmal schwerer habe und eben nicht alles zu 100 % funktioniert, würde ich mich selbst und andere genauso betrügen, wie wenn ich sagen würde eine seelische Verletzung hat überhaupt keinen Einfluss mehr auf mein Leben.

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