Blinde Menschen sehen sich oft mit Vorurteilen konfrontiert. Diese Vorurteile stehen eine gelungene Inklusion des Öfteren im Wege, auch wenn sie selten böswillig gemeint sind.
Doch was ist eigentlich dran an diesen Vorurteilen? Perspektivwechsel unterzieht die gängigsten Vorurteile einem Faktencheck und klärt auf.
Blinde Menschen sehen schwarze Dunkelheit
Stimmt nicht!
Zunächst einmal kommt es darauf an, ob ein Mensch blind oder sehbehindert ist. Sehbehinderte Menschen können in der Regel noch zwischen hell und dunkel unterscheiden und Umrisse wahrnehmen. Aber auch ganz blinde Menschen sehen in der Regel nicht schwarz.
Auch hier muss zwischen den einzelnen Arten von Blindheit unterschieden werden. Je nach Ursache der Blindheit kann es zum Beispiel sein, dass man eine graue Nebelsuppe oder schwarz-weiß-Figuren vor seinem Auge sieht.
Die meisten Blinden sehen jedoch tatsächlich nichts. Nichts ist hier bei keineswegs mit schwarz oder Dunkelheit gleichzusetzen. Für sehende Menschen ist es nur schwer vorstellbar, da es keine wirklichen Vergleiche hierfür gibt. Am nächsten kommt man dem Nichtssehen vielleicht, wenn man sich vorstellt wie man mit seinem Fuß oder seiner Hand sieht.
Bei Blinden Menschen sind die restlichen Sinne stärker und besser ausgeprägt als bei sehenden Menschen
Stimmt!
Blinde und sehbehinderte Menschen müssen sich viel stärker auf den Gehör-, Tast- und Riechsinn und seltener auch auf den Geschmackssinn konzentrieren, um ihre Umwelt wahrzunehmen.
Es ist sogar wissenschaftlich nachgewiesen, dass das menschliche Gehirn in der Lage ist, Teile des Sehzentrums, so umzu-strukturieren, sodass Informationen, die von den anderen Sinnen an das Gehirn weiter gegeben werden, im Sehzentrum mit verarbeitet werden. Das Gehirn eines blinden Menschen passt sich also an den Verlust des Sehzentrums an und konzentriert sich auf die restlichen Sinne.
Dass Blinde anstelle des Sehsinns durch ein besonders gutes Gehör Superkräfte entwickeln können und Geräusche aus kilometerweiter Entfernung richtig identifizieren können, entspricht jedoch nicht der Wahrheit und ist eine Übertreibung aus vielen Filmen und Romanen.
Gleichwohl arbeiten immer mehr blinde Menschen als Masseure oder im medizinischen Bereich bei der Erkennung von Brustkrebs, da der Tastsinn bei blinden Menschen stärker ausgeprägt ist.
Blinde Menschen sind nicht in der Lage alleine das Haus zu verlassen
Stimmt Nicht!
Blinde Menschen sind mithilfe ihres Blindenstocks sehr wohl in der Lage das Haus zu verlassen und sich in der Stadt zu orientieren.
Viele erhalten ein so genanntes Mobilitätstraining, bei dem sie wichtige Routen wie zum nächsten Supermarkt, zum Bahnhof oder zur Arbeitsstelle lernen. Viele Blinde mögen es aber auch ihre Umgebung auf eigene Faust zu entdecken.
Blinde Menschen haben keine Hobbys und langweilen sich den ganzen Tag zu Hause
Stimmt Nicht!
Blinde Menschen haben genau wie sehende Menschen Hobbys und Aktivitäten die sie gerne machen.
In der Regel unterscheiden sich diese Hobbys nicht sonderlich von denen der sehenden Menschen. Es gibt blinde Menschen, die sich für Sport interessieren und auch selbst Sport betreiben. Blinde Menschen treffen sich gerne mit Freunden und gehen etwas trinken. Es gibt blinde Menschen, die gerne Spaziergänge machen oder gerne shoppen gehen.
Blinde Menschen sind nicht in der Lage ihren eigenen Haushalt alleine zu strukturieren und sich selbst zu versorgen
Stimmt in der Regel nicht!
Blinde Menschen sind durchaus in der Lage die grundsätzlich Arbeiten im Haushalt wie Kochen oder Aufräumen alleine durchzuführen. Schwierigkeiten könnte es eventuell beim Putzen geben, da es schwer ist, herauszufinden, ob ein Boden wirklich sauber gewischt ist oder nicht.
Kochen ist in der Regel machbar, wobei sich die meisten blinden Menschen am Anfang sehende Hilfe holen. Viele präparieren ihren Herd auch mit Markierungspunkten, damit sie wissen, auf welche Temperatur der Herd eingestellt ist.
Blinde Menschen können nicht alleine einkaufen gehen
Stimmt nicht!
Das blinde Menschen auch alleine ihr Haus verlassen haben wir bereits geklärt. Und auch einkaufen liegt durchaus im Bereich des möglichen.
Zwar ist es für blinde Menschen schwierig bis unmöglich, ganz alleine durch einen Supermarkt oder ein Geschäft zu laufen und die bestimmten Produkte aus den Regalen auszusuchen, jedoch bieten mittlerweile viele Supermärkte und Geschäfte spezielle Einkaufshilfen an.
So kann man sich als blinder Mensch meistens an der Kasse melden und bekommt dann entweder einen Mitarbeiter an die Seite gestellt, der mit einem durch das Geschäft läuft und die gewünschten Produkte holt oder man gibt an der Kasse seinen Einkaufszettel ab und bekommt die Produkte direkt dorthin gebracht.
Online einkaufen ist in den allermeisten Fällen auch komplett ohne sehende Hilfe möglich.
Blinde Menschen können kein Smartphone und keinen Computer benutzen und sind deshalb völlig abgeschnitten von der digitalen Welt
Stimmt nicht!
Wie blinde ein Smartphone nutzen können und wie es sogar als Hilfsmittel eingesetzt werden kann habe ich
beschrieben.
Die meisten Smartphones und viele Computer haben eine spezielle Software, die blinden Menschen die Bildschirminhalte vorliest. So ist es auch für blinde Menschen möglich im Internet zu surfen und zu chatten. Mittlerweile werden sogar die beliebten Emojis und Fotos beschrieben.
Blinde Menschen sind immer traurig und schlecht gelaunt wegen der Behinderung
Stimmt nicht!
Natürlich hat jeder Blinde auch mal schlechte Tage und ist öfter traurig wegen der Behinderung. Es ist aber keineswegs so, dass blinde Menschen immer nur traurig und enttäuscht in der Ecke sitzen. Die aller meisten haben sich mit ihrem Handikap abgefunden und versuchen das Beste aus der Situation zu machen und führen ein glückliches und zufriedenes Leben. Schlechte Tage gehören ja auch zum Alltag der sehenden Menschen dazu.
Blinde Menschen interessieren sich nicht für Mode und ihr Aussehen
Kann nicht mit stimmt oder stimmt nicht beantwortet werden!
Ähnlich wie bei sehenden Menschen gibt es auch bei blinden Menschen solche, die viel Wert auf ihr Äußeres und Mode legen und andere, denen es relativ egal ist.
Blind zu sein, bedeutet auf jeden Fall nicht automatisch, dass man sich nicht für Mode und seine Kleidung interessiert. Es gibt Menschen, die sich beim Kleiderkauf ganz genau beschreiben lassen wie das Kleidungsstück aussieht und welche Farbe es hat. Mittlerweile gibt es sogar einige Apps, die blinden Menschen die Farbe von Produkten und Kleidungsstücken beschreiben können. Man hält dann das Smartphone mit der Kamera in Richtung des Kleidungsstück und die App erkennt dann mehr oder weniger zuverlässig die Farbe.
Andere wiederrum befühlen das Kleidungsstück ganz genau und entscheiden dann danach, ob es sich schön oder weniger schön anfühlt.
Und dann gibt es noch diejenigen, denen es wirklich egal ist wie die Kleidungsstücke aussehen oder sich anfühlen. Auch im Bereich Frisur oder schminken kann man nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass dies für blinde Menschen uninteressant ist. Viele blinde Frauen schminken sich selbst sehr gerne. Manche lassen sich von Sehenden helfen, aber sehr viele Frauen schminken sich ohne sehende Hilfe.
Auch beim Friseur haben viele Blinde ganz genaue Vorstellungen davon wie ihre Frisur aussehen soll.
Blinde Menschen waren als Kind grundsätzlich auf Blindenschulen
Stimmt nicht mehr!
Noch vor gar nicht allzu langer Zeit war es selbstverständlich, dass ein blindes Kind auf eine Blindenschule gehen muss. Doch seitdem Deutschland vor zehn Jahren die UN Behinderten Rechts Konvention ratifiziert hat, haben Kinder mit einer Behinderung ein Recht darauf mit nicht behinderten Kindern unterrichtet zu werden. Seitdem gibt es auch immer mehr blinde Kinder, die als Inklusionsschüler auf eine Regelschule gehen. Ich durfte ab dem dritten Schuljahr als Inklusionsschüler mit sehenden Schülern zusammen auf eine Schule gehen und habe 2016 als erster blinder Mensch das Zentralabitur in Hessen an einer Regelschule absolviert.
Nach der Schulzeit werden Blinde Menschen arbeitslos oder arbeiten in Blindenwerkstädten
Stimmt nicht!
Tatsächlich ist erwiesen, dass es Menschen mit einer Behinderung deutlich schwerer haben, einen Job zu finden als Menschen ohne Behinderung. Des Weiteren ist die Arbeitslosenquote bei blinden Menschen wesentlich höher als bei Sehenden. Daraus abzuleiten, dass blinde Menschen grundsätzlich keine Chance haben eine Arbeit zu finden und wenn dann nur in einer Blindenwerkstatt, entbehrt jedoch jeglicher Grundlage. Blinde Menschen arbeiten in fast jeder Branche und in fast jedem Berufsfeld. Viele Blinde machen nach dem Schulabschluss eine Ausbildung oder ein Studium und spezialisieren sich weiter. Zwar erleben blinde Menschen immer wieder, dass Arbeitgeber erst einmal äußerst skeptisch sind, jedoch gelingt es oft die Arbeitgeber positiv umzustimmen und von der Leistungsfähigkeit zu überzeugen.
Blinde Menschen können keine Treppen laufen
Stimmt nicht!
Blinde Menschen können genauso gut wie sehende Menschen eine Treppe benutzen. Der fehlende Sehsinn stellt hier kein großes Hindernis dar. Mit dem Blindenstock können Blinde die Stufen vor sich gut ertasten und wissen somit genau, wann eine Treppe beginnt und wo sie aufhört.