Wenn die Dunkelheit übermächtig erscheint

Viel zu selten wird in unserer Gesellschaft über Gefühle wie Traurigkeit, Schmerz oder Mutlosigkeit gesprochen.
Wir interessieren uns nur für die tollen Momente, für Erfolgsstorys und Heldengeschichten. Wir versuchen uns hinter unseren Siegen und guten Momenten zu verstecken. Doch hinter der glänzenden Fassade liegen immer auch die Schattenseiten, die Traurigkeiten und auch unsere Schwächen. In diesem Text soll es genau um die weniger angenehmen Themen gehen, weil diese zum Leben dazugehören.

Stell dir vor es ist ein herrlicher Frühlingstag. Die Sonne scheint, die Vögel singen und die Blumen blühen. Alle Menschen erfreuen sich am blauen Himmel, an der farbenfrohen Natur und an der Helligkeit des Tages. Und dann stell dir vor es bleibt trotzdem dunkel in deinem Leben. Du hörst zwar die Vögel und riechst den Frühling, die vielen bunten Farben und die Helligkeit aber siehst du nicht. Und viel mehr noch; du merkst, wie deine Mitmenschen voll und ganz in der Welt der Farben und im Licht aufgehen und du in der Dunkelheit feststeckst. Du fühlst dich einsam und verlassen. Du spürst, dass zwischen deiner Welt und der Welt deiner Mitmenschen die Dunkelheit steht.

Oder stell dir vor du bist immer derjenige, über den definitiv geredet wird, wenn du neu in einer Gruppe bist. Aber nicht dein Charakter, deine Hobbys und alles andere was dich ausmacht ist Gesprächsthema, sondern deine Blindheit. Jeder begegnet dir zunächst mit Vorurteilen, mit Vorsicht und des Öfteren auch mit Angst. Für die meisten bist du erstmals einfach der Blinde. Ein ungezwungenes kennenlernen ist kaum möglich, weil Blindheit und Vorurteile der anderen zwischen dir und deinen Mitmenschen stehen. Du weißt zwar, dass es die Menschen in der Regel nicht böse meinen, doch trotzdem fühlst du dich verlassen und alleine, weil du dich gefangen fühlst in der Dunkelheit.

Nicht immer ist das Leben mit Blindheit einfach und schön. Zwar lernt man mit der Zeit seine Behinderung zu akzeptieren, doch trotzdem gibt es diese Tage voller Verzweiflung, Trauer und Wut. Tage, an denen man sich am liebsten in die hinterste Ecke verkriechen würde und sich ganz der Traurigkeit ergeben möchte. Es sind diese Tage, an denen sich die Blindheit wie eine riesige Last anfühlt, unter der man zusammenbricht. Tage, an denen ich mich einsam, verlassen und unglaublich weit weg von meinen Mitmenschen entfernt fühle. Tage, an denen das nicht sehen können zu einem undurchdringlichen Gefängnis aus dunklen Mauern wird, aus dem es kein entrinnen gibt.
Und dann gibt es da noch die Fragen, die einen quälen und nicht mehr loslassen? Warum ausgerechnet ich? Warum kann nicht ein Wunder passieren, dass mich wieder sehend macht? Hat das Leben mit einer Behinderung überhaupt einen Sinn?

Blind zu sein bedeutet mehr als nur nicht sehen zu können. Es kann auch Einsamkeit, Isolation und Traurigkeit bedeuten.
Mit einer Behinderung zu leben bedeutet in einer Gesellschaft zu leben, die für Menschen ohne Behinderung gemacht ist und die zu oft keinen Platz für vermeintlich Schwächere bietet.

Menschen mit einer Behinderung werden im Alltag ständig damit konfrontiert, dass sie Dinge, die für die meisten Menschen normal sind, gar nicht oder nur mit großem Mehraufwand schaffen können. Damit umzugehen ist an vielen Tagen alles andere als einfach. Zumal einem an allen Ecken vermittelt wird, dass Schwächen in der Gesellschaft unerwünscht sind. Wo höher!schneller! weiter! Die einzigen Maßstäbe zu sein scheinen, werden Menschen, die diesen Prinzipien nicht entsprechen können vergessen und ausgegrenzt. In der Wahrnehmung der aller meisten Menschen ist eine Behinderung immer noch etwas Schreckliches, Schlimmes und Trostloses. Somit ich mich auch immer wieder dafür rechtfertigen muss, dass auch ein Leben mit einer Behinderung lebenswert sein kann.

Eine weitere Schwierigkeit ist die eingeschränkte Mobilität, die meine Blindheit mit sich bringt. Selbst Wege im nahen Umfeld müssen mühevoll erlernt werden, damit ich sie irgendwann selbständig und alleine benutzen kann. Möchte ich unterwegs sein bin ich stets auf öffentliche Verkehrsmittel oder sehende Personen mit Auto angewiesen. Einfach mal so mit dem Fahrrad in die Stadt, andere Städte besuchen und anschauen oder sich in ein Auto setzen und losfahren? Für mich nur ein Traum, der wohl nie Wirklichkeit werden wird.
Und ja, wenn ich so über all die beschriebenen Situationen nachdenke, lässt sich der Wunsch einmal wieder sehen zu können nicht an allen Tagen unterdrücken. Ein Wunsch, der aufgrund der besonderen medizinischen Situation wohl niemals in Erfüllung gehen kann.
Manchmal wird dieser Wunsch so groß, dass er zum dominierenden Gefühl in meinem Leben wird. Dann frage ich mich, ob ein Leben mit Blindheit wirklich lebenswert ist. Und manchmal werden mir die ganzen Herausforderungen zu viel und scheinbar unerträglich. Dann fehlt mir die Kraft trotz allem positiv nach vorne zu schauen. Dann fehlt die Energie die Blindheit als ganz normalen Teil meines Lebens zu sehen und das Beste daraus zu machen. Das nicht sehen können fühlt sich in solchen Momenten an, als ob ich von den bereits beschriebenen dunklen hohen Mauern gefangen wäre ohne jede Chance auf Befreiung. Denn die Blindheit lässt sich nicht einfach wie ein Mantel am Ende des Tages ablegen; blind bin ich immer und werde es wohl mein ganzes Leben bleiben. Besonders die scheinbar feststehende Endgültigkeit ist an diesen Tagen nur schwer zu ertragen, weil es eben auch heißt, dass mich die Herausforderungen und Schwierigkeiten mein ganzes Leben begleiten werden.

Doch was fängt man jetzt mit diesen negativen Gedanken auf? Ist es jetzt angebracht sich nur noch still und traurig in die hinterste Ecke zu verziehen? Darf ich überhaupt solch negative Gedanken haben und wenn ja, sollte ich diese nicht lieber für mich behalten um niemanden damit zu belästigen? Müsste es mir mit 25 Jahren nicht längst gelungen sein solche Gedanken endgültig zu verbannen?

Tatsächlich bin ich davon überzeugt, dass es auf all die vielen Fragen aus diesem Artikel keine allgemein gültigen Antworten gibt. Vor allem die Fragen, warum es Behinderungen und Krankheiten gibt kann kein Mensch auch nur ansatzweise beantworten. Auch Theologen verzweifeln seit Jahrhunderten an der sogenannten Theodizeefrage, die letztlich wissen möchte, warum gütiger Gott Leid, Unheil und Krankheiten zulässt.
Doch muss die Frage nach dem warum wirklich beantwortet werden? Ich denke es wäre viel entscheidender zu Fragen, wie wir mit Krankheit, Behinderungen und Schwächen umgehen. Diese Frage ist sowohl eine gesellschaftliche als auch eine individuelle Sache.
Eine Gesellschaft sollte kritisch hinterfragen, ob es nicht bessere Prinzipien als „Höher!deSchneller! Weiter!“ gibt. Eine Gesellschaft, die so gerne modern, bunt und vielfältig sein möchte sollte es nicht zulassen, dass schwächere Mitglieder oder solche die aus anderen Gründen nicht in das Mainstream-Schema passen ausgegrenzt werden. Letztlich hat jeder Mensch Schwächen und Stärken. Das ich nicht sehen kann macht mich noch lange nicht zu einem Menschen zweiter Klasse. Ich habe genauso Stärken, die ich in das gesellschaftliche Leben einbringen kann. Eine Gesellschaft ist dann am stärksten, wenn jeder unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Behinderung gleichberechtigt seine Stärken einbringen kann und Schwächen nicht als Auskrenzungsmerkmal sondern als etwas ganz natürliches betrachtet werden.

Was die individuelle Seite betrifft hilft es mir am meisten zu spüren, dass ich ein Umfeld habe, in dem meine Behinderung keine große Rolle spielt. Freunde und Familie sind da, wenn es mir schlecht geht und sprechen mir Mut zu, wenn ich mutlos bin. Auch mein Umfeld kann die Blindheit nicht von mir wegnehmen, aber es hilft mir besser damit umzugehen.

Und nicht zuletzt ist der Glaube an Gott jeden Tag eine Ermutigung für mich. Ich glaube daran, dass es einen Gott gibt, der Himmel und Erde und alles Leben geschaffen hat und nicht möchte, dass es mir mit meiner Blindheit schlecht geht. Ich glaube auch daran, dass Gott auch Menschen mit einer Behinderung gebrauchen kann. Warum Gott zulässt dass ich blind bin und auch andere Krankheiten und Behinderungen nicht verhindert, werde ich nie verstehen können. Und trotzdem weiß ich, dass ich auf Jesus vertrauen kann, weil er mir jedes Mal aufs Neue die Kraft gibt mit der schwierigen Situation umzugehen. Jesus ist der Begleiter in meinem Leben, der mich immer wieder stärkt wenn ich schwach bin und mich immer wieder aufrichtet wenn ich das Gefühl habe die dunklen Mauern sind zu stark und zu groß für mich.

In der Bibel steht im Johannes-Evangelium: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“(Johannes 8,12)

Dieses Licht konnte ich schon oft in meinem Leben spüren. Es ist stärker als die dunklen Mauern, die sich immer wieder um mich herum aufbauen wollen.

Und an einer anderen Stelle heißt es: „Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein?“(Römerbrief 8,31)und in Philipper 4,13 steht: „Alles kann ich durch Christus, der mir Kraft und stärke gibt.“

Jesus ist stärker als meine Blindheit und er lässt mich nicht im Stich. Kann es eine größere Kraft und eine größere Zuversicht geben? Ich kenne keine!

1 Kommentar

  1. sagu.baum@t-online.de sagt:

    Vielen Dank, Johannes, für diesen sehr berührenden, persönlichen und mutigen Bericht!

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