Kommentar zum neuen Studierendenhaus der Uni Kassel: An Menschen mit Behinderung wurde zu wenig gedacht

Anfang November 2019 fand die feierliche Neueröffnung des Studierendenhauses der Universität Kassel statt. In dem neuem Gebäude finden in Zukunft der ASTA mit seinen Referaten und ein Kulturzentrum für Konzerte und andere Veranstaltungen Platz. Bei der Planung wurden Studierende mit in den Prozess eingebunden, da es ein Haus für alle Studierende werden sollte. Perspektivwechsel hat sich im neuen studentischen Zentrum umgesehen und fühlt sich aufgrund der mangelnden Barrierefreiheit nicht wirklich willkommen. Es gibt noch viel zu tun, wenn das Studierendenhaus wirklich ein Ort für alle Studierende werden soll.

Viel Lob gab es in den vergangenen Wochen für die Universität Kassel. Mit der Neueröffnung des Studierendenhauses auf dem Nordcampus habe man das studentische Leben in Kassel bereichert und eine Vorbildfunktion für andere Universitäten in Deutschland übernommen. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude, welches sich in einer ehemaligen Textilfabrik befindet, wurde aufwendig saniert und steht nun dem Allgemeinem Studierendenausschuss (ASTA) mit seinen Referaten zur Verfügung. Des Weiteren befindet sich in der unteren Etage ein Kulturzentrum, indem Konzerte, Partys und andere Events stattfinden sollen.

Erhebliche Mängel bei Barrierefreiheit

Da das Studierendenhaus von Anfang an ein Projekt für alle Studierenden werden sollte, wurde die Studierendenschaft am Planungs- und Bauprozess unmittelbar beteiligt. Dementsprechend begeistert zeigte sich die versammelte Prominenz bei der feierlichen Eröffnung des Studierendenhauses Anfang November 2019. So sprach Universitätspräsident Prof. Dr. Reiner Finkeldey von einem echtem Schmuckstück, welches man den Studierenden übergeben könne. Vertreter des ASTA und die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst zeigten sich änlich begeistert.

Doch auch wenn das neue Studierendenhaus ein Ort für alle Studierende sein soll; an Menschen mit Behinderung wurde bei der Planung offenbar viel zu wenig gedacht. Derzeit fehlt es im neu saniertem Gebäude nahezu an der gesamten Infrastruktur für Menschen mit Behinderung. So gibt es im gesamten Gebäude kein taktiles Leidsystem für blinde und sehbehinderte Menschen, welches einem durch die Räume und Flure führt. Ohne ein Leidsystem ist es für blinde Menschen kaum möglich sich in einem Gebäude zurechtzufinden und Türen, Aufzüge oder Treppen zu finden.
Eine weitere große Hilfe wäre ein taktiler Lageplan des Gebäudes, auf dem alle Flure und Räume so vermerkt sind, das sehbehinderte Menschen durch Erfühlen des Plans eine Vorstellung des Hauses bekommen und sich anschließend orientieren können. Auch ein solcher Plan ist bisher noch nicht vorhanden.

Des Weiteren gibt es derzeit keine Beschriftungen der einzelnen Räume in Blindenschrift. Als nicht sehende Person hat man somit keine Möglichkeit herauszufinden, ob der Raum vor dem man gerade steht das gewünschte Zimmer ist oder sich hinter der Tür nur die Toiletten befinden.

Aber nicht nur blinde und sehbehinderte Menschen haben es im Moment schwer im neuen Studierendenhaus. Auch für Rollstuhlfahrer kann der Aufenthalt zur frustrierenden Belastungsprobe werden. Zwar wurde bei der Planung des Gebäudes an spezielle Türöffner für Rollstuhlfahrer gedacht, allerdings gaben diese schon nach wenigen Wochen den Geist auf und wurden somit unbrauchbar.

So kommt es zu dem Kuriosum, dass sich zwar das autonome Referat für barrierefreies studieren des ASTA im neuen Studierendenhaus befindet, der Zugang dorthin jedoch alles andere als Barrierefrei ist. Wenn man sich als Studierender mit Behinderung also an die studentische Schwerbehindertenvertretung wenden möchte wird einem der Weg dorthin also schon massiv erschwert.

Dass das Thema Barrierefreiheit jedoch nicht völlig unterschlagen wurde, zeigt sich an dem Aufzug, der sogar über eine Sprachausgabe verfügt. Blinde und Sehbehinderte Menschen werden jedoch große Schwierigkeiten haben den Aufzug überhaupt finden zu können.

Warum das Studierendenhaus nahezu komplett unbarrierefrei eröffnet wurde, ist nicht bekannt. Offiziell heißt es, dass es bei der Planung Schwierigkeiten gab und sich der barrierefreie Ausbau daher verzögere. Bemerkenswert ist, dass es von Seiten der Uni weder bei der feierlichen Eröffnung noch in der offiziellen Pressemitteilung zur Eröffnung ein Statement zum Thema Barrierefreiheit gab. Ein solches Statement wie „Trotz offizieller Eröffnung arbeiten wir zurzeit daran das Studierendenhaus barrierefrei auszubauen“ wäre ein wichtiges Zeichen an alle Studierenden mit Behinderung gewesen, welches verdeutlicht hätte, dass man sie nicht vergessen hat. Doch aus den durchweg positiven Aussagen ist nichts der gleichen zu entnehmen. Im Gegenteil: Die abgegebenen Statements klingen eher nach einem erfolgreich abgeschlossenen Projekt, als nach Verbesserungsbedarf

Unbarrierefreies Studierendenhaus ist vertane Chance

Das eine Universität, die sich gerne Gleichberechtigung und Inklusion auf die Fahne schreibt ein neues Gebäude eröffnet, indem es an barrierefreier Infrastruktur fehlt, ist traurig und in Zeiten der UN-Behindertenrechtskonvention eigentlich skandalös. Zudem ist es enttäuschend für alle Studierenden mit einer Behinderung an der Universität Kassel. Laut Deutschem Studentenwerk haben rund 11% aller Studierenden in Deutschland eine Behinderung. Auf die Universität Kassel mit rund 25.000 Studierenden bezogen sind das etwa 2750 Menschen. Eine solch große Gruppe bei Planung und Umsetzung nur in geringem Maße zu berücksichtigen hat nicht wirklich etwas mit Gleichberechtigung und Inklusion zu tun. Ein neues Gebäude für alle Studierenden mit Modellcharakter für andere Universitäten in Deutschland? Für Menschen mit Behinderung an der Uni Kassel kann das nur wie ein schlechter Scherz klingen.
Die Uni Kassel hat mit dem unbarrierefreien Studierendenhaus eine wichtige Chance verpasst.

Einerseits hätte man durch die barrierefreie Ausgestaltung der Studierendenschaft und besonders den Studierenden mit einer Behinderung zeigen können, dass an der Uni Kassel wirklich für alle Menschen Platz ist und auch die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung berücksichtigt werden.
Andererseits wäre ein barrierefreies Studierendenhaus auch für die Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb von Kassel ein tolles und wichtiges Zeichen gewesen. Dieses Zeichen hätte gezeigt, dass die Uni Kassel bei den Themen Inklusion und Barrierefreiheit Verantwortung übernehmen möchte und mit gutem Beispiel vorangehen will. Ein Studierendenhaus, welches barrierefrei ausgebaut ist wäre ein echtes Schmuckstück und hätte einen wirklichen Modellcharakter.

Vorerst ist diese Chance vertan, aber zu spät ist es deshalb noch nicht. Auch nachträglich lässt sich ein Gebäude barrierefrei ausbauen und auch nachträglich kann man sich für Inklusion stark machen. Es Liegt jetzt an der Universitätsverwaltung, ob das Thema Inklusion einen hohen Stellenwert besitzt oder nicht.
Aber nicht nur die Univerwaltung ist hier in der Verantwortung, sondern auch die gesamte Studierendenschaft der Universität Kassel. Als Studierender sollte es mir nicht egal sein, wenn eine bestimmte Gruppe Schwierigkeiten bei der Nutzung der Campusgebäude hat. Es gibt viele studentische Initiativen, die sich für Gleichberechtigung und Weltoffenheit auf dem Campus einsetzen. Jetzt haben alle Studierenden die Möglichkeit zu zeigen, dasss solche Begriffe nicht nur schöne Parolen, sondern ernstgemeinte Werte sind.

3 Kommentare

  1. allaboutluisa sagt:

    Es wird sich bestimmt noch viel verändern, also sagen wir mal lieber es sollte sich verändern.
    Liebe Grüße
    Luisa von https://www.allaboutluisa.com/

  2. Thomas sagt:

    Ich bedauere, dass Sie so schnell zu so einem so negativen Urteil kommen, Hatten Sie mal Gelegenheit, sich mit den Planern und Projektverantwortlichen in der Bauabteilung der Universität darüber zu unterhalten?
    An der Gestaltung der Barrierefreiheit dieses Gebäudes war ich nur am Rande beteiligt, habe aber mitbekommen, dass sie schon von den ersten Planungen bis zu den letzten Konstruktionsdetails ganz intensiv mitgedacht und verwirklicht wurde. Menschen mit eingeschränkter Mobilität werden dabei ebenso berücksichtigt wie Menschen mit einer Seh- oder Höreinschränkung und es wurden neben der Berücksichtigung der DIN-Vorschriften noch ganz viele Details überlegt, um die Nutzung des durchaus komplizierten Altbaus, aber auch die Rettung und Evakuierung, für Alle uneingeschränkt zu ermöglichen.
    Natürlich werden Eröffnungstermine weit im Voraus festgelegt, damit die ganzen hochkarätigen Ehrengäste dies einplanen können. Aber gerade in der Endphase der Baufertigstellung gibt es immer wieder ganz viele unvorhergesehene Störungen im Ablauf. Daher ist es fast üblich, dass die Gebäude mit der Eröffnung nur notdürftig fertig sind und noch ganz viel nachträglich fertig gestellt werden muss. Diesen unfertigen Zustand als Maßstab für eine Beurteilung anzulegen, halte ich für nicht angebracht. Beispielsweise gab es am Eröffnungstag noch gar keine Türschilder, sondern es hingen überall handgeschriebene Zettel an den Türen.

  3. Hallo!

    Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort.

    Mit den Planern hatte ich tatsächlich während des Bauprozesses Kontakt, meine anfrage wurde jedoch so beantwortet, Das Barrierefreiheit insbesondere für blinde Menschen nicht bei den Planungen berücksichtigt werden konnten. Wieso weshalb warum wurde mir leider nicht mitgeteilt. Antworten dieser Art habe ich zu dem von vielen verschiedenen Seiten gehört. Das es anscheinend trotzdem bestimmte Überlegungen und Ideen gab war mir nicht bekannt und wurde auch anders vermittelt.
    Das solche Termine schon weit im Voraus geplant werden ist mir durchaus bewusst, jedoch ist es sehr schade, dass zum größtenteils die Barrierefreiheit noch nicht berücksichtigt wurde und es von Seiten der Uni auch keine öffentlichen Aussagen gab, außer dass das Thema nicht berücksichtigt werden konnte.
    Das Thema komplett unberücksichtigt zu lassen finde ich persönlich für unangebracht, zumal es von mehreren studentischen Initiativen wohl auch in den Planungsprozess eingebracht wurde. Da die Uni selber nach außen hin sehr selbstbewusst kommuniziert hat, dass das Gebäude fertig sei und zum Thema Barrierefreiheit nichts gesagt wurde finde ich durch aus, dass sich die Uni dann auch an diesem Maßstab messen lassen sollte.

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