Keine Frage, die Corona-Krise verlangt allen Menschen zurzeit viel ab. Das öffentliche Leben steht still, soziale Kontakte sind fast nur noch digital möglich und auch sonst verändern die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unseren Alltag. Zu Hause bleiben ist aktuell das oberste Gebot.
Doch was tun, damit einem nicht die Decke auf den Kopf fällt?
Ein Wochenbericht aus dem Home-Office J. Schneider in Kassel.
Von Online-Vorlesungen, Gottesdiensten auf dem Sofa und digitalen Spieleabenden.
Stell dir vor es ist Uni, und niemand geht hin
Mittwochmorgen 08:00 Uhr:
Eigentlich ein ganz normaler Morgen Ende April in Kassel. Das Sommersemester hat vor wenigen Tagen begonnen, die Sonne scheint, die Vögel singen und ich versuche mich mehr oder weniger erfolgreich für eine Vorlesung in der Uni vorzubereiten. Wer hat eigentlich festgelegt, dass Vorlesungen bereits um 08:00 Uhr beginnen dürfen? Und wie war das noch gleich; Studenten können jeden Tag bis mindestens 12:00 Uhr ausschlafen, weil man ja sowieso nicht vor 16:00 Uhr in der Uni sein muss?
Entweder ich studiere das Falsche, oder aber an diesen Vorurteilen ist nichts dran. Und so quäle ich mich aus dem gemütlichen Bett und rüste mich mit Laptop aus. Ganz normal also?
Nein, etwas ist anders an diesem Tag, denn statt in die überfüllte Straßenbahn, die mich zur Uni befördert geht es nur ein paar Schritte weit bis zu meinem Schreibtisch. Online-Vorlesung statt Präsenzlehre steht heute auf dem Plan. Und nicht nur heute, sondern wo möglich das ganze Semester. Nicht etwa, weil die Universität Kassel die Digitalisierung für sich entdeckt hat, sondern weil Corona-Krise ist. Und so komme ich in den Genuss den Ausführungen meines Theologie-Professors vom Schreibtisch aus zu lauschen.
Im Großen und Ganzen eine ganz entspannte Sache dieses Home-Office. Und für mich in vielen Punkten auch viel einfacher. Ich muss mich nicht in eine überfüllte Straßenbahn quetschen, muss mir niemanden organisieren, der mich zu meinem Hörsaal bringt und Angst, mich auf dem unübersichtlichen und verwinkelten Campus zu verlaufen, muss ich auch nicht haben.
Statt großer und voller Hörsaal entspanntes (fast) leeres Wohnzimmer.
Doch die Nachteile zeichnen sich ebenso schnell und deutlich ab. Keine Kommilitonen und Freunde, mit denen man sich über die Inhalte austauschen kann, kein Professor, dem man direkt Fragen stellen kann und keine Diskussionen. Und das Wichtigste: Keine Treffen mit Freunden in der Mensa nach, vor oder zwischen den Veranstaltungen. Meine Freunde, mit denen ich normalerweise ein- bis zweimal pro Woche mensen gehe; sie fehlen mir jetzt schon. Und das Semester hat gerade erst begonnen; das kann ja heiter werden.

Mensen mal anders
Mittwoch 12:00 Uhr:
Die Online-Veranstaltungen der Uni habe ich mehr schlecht als recht hinter mich gebracht. Also habe ich mir ein leckeres Mittagessen verdient. Also ab mit Freunden in die Mensa und eine leckere Portion holen … ach nein, halt Stopp! Da war ja was; Corona und so… Also doch wieder nur Nudeln mit Pesto? Oder Essen bestellen beim Lieferdienst des Vertrauens? „Aber Bestellen ist so teuer und wir haben doch erst letzte Woche bestellt und… Ach egal, besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen!“ Also doch gute italienische Pizza anstatt Dosenravioli.“Beim nächsten Mal wird dann aber wirklich selbst gekocht! Also wirklich…“ Vielleicht ja ein Rezept, was das Studierendenwerk der Uni Kassel aus der Mensa gepostet hat? Oder doch nur Tiefkühlpizza? Da stellt einen die Krise vor ganz neue Herausforderungen.
Wenn der beschauliche Stadtteilpark zum angesagten Hottspott wird
Mittwoch 16:30 Uhr:
In meinem Stadtteil gibt es einen kleinen Park. Eigentlich nichts Besonderes; ein paar Spazierwege, ein winziger Bach der, wenn er nicht gerade ausgetrocknet ist; mitten hindurchfließt, einige Bäume und hin und wieder Sitzbänke.
In der Regel trifft man hier eher wenig Menschen, doch in Zeiten von „Wir bleiben zu Hause“ ist alles anders. Denn einfach nur zu Hause sitzen bleiben halten die meisten dann doch nicht die ganze Zeit durch. Und so geht es für viele ab in den Stadtteilpark. Und so hat es den Anschein, als ob der gesamte Stadtteil im Park spazieren geht. Spazieren gehen als neuer Volkssport? Warum eigentlich nicht? Wetter ist ja traumhaft schön in diesen Tagen und so begebe ich mich ebenfalls in den neuen Hottspott-Park Bossentalpark-Kassel-Fasanenhof. Dir sagt dieser Park nichts? Kein Problem, bestimmt kommt der noch ganz groß raus; irgendwann in der Post-Corona-Epoche.
Kaffelust und Unifrust:
Donnerstag 10:30 Uhr: Der Kaffee und das Frühstück schmecken ausgezeichnet, die Online-Veranstaltungen der Uni dafür umso weniger. Denn obwohl man meinen sollte, das mit einem digitalen Semester für blinde Menschen alle Sorgen erledigt sein müssten, stellen sich durchaus größere Schwierigkeiten für mich ein. So kann ich beispielsweise gleich mehrere hochgeladene Präsentationen der Professoren und Dozenten an meinem Laptop nicht öffnen, da meine Sprachausgabe diese nicht auslesen kann. Die Erklärvideos, die in den Präsentationen verarbeitet sind und uns Studierenden beim Durchblättern der Folien helfen sollen, sind an und für sich eine sehr gute Sache, bringen mir jedoch auch nichts, wenn ich die Präsentationen nicht öffnen kann. Wie gut, dass ich für solche Fälle Studienassistenzen habe, die mir die Präsentationen und Dokumente in für mich lesbare Form umwandeln können. Das sind ganz ganz liebe Menschen aus meinem Freundeskreis, die sich bereiterklärt haben, neben ihrem eigenem Studium mich zu unterstützen und überall einzuspringen, wo ich alleine nicht weiterkomme.Ohne diese Menschen könnte ich mein Studium sofort abbrechen! An dieser Stelle ein ganz ganz dickes Dankeschön und eine virtuelle Umarmung mit ganz viel Liebe an meine Studienassistenzen.
Ein Hoch auf das Digital-Oldschoolzeitalter
Freitag 20:00 Uhr:
Was wurde nicht schon alles über die jüngere Generation geschimpft. Wir, die Kinder der 90er und frühen 2000er, die mehr oder weniger mit Internet, Computer und etwas später auch mit Handys groß geworden sind, müssen uns schon so Einiges anhören. Spöttisch nennt man uns die Generation „Kopf nach unten“ oder interpretiert das Y in der Bezeichnung Generation Y als Daumen-Hoch-Emojy von Facebook. Telefonieren können wir ja sowieso nicht, weil wir ja nur noch über Messenger-Dienste kommunizieren. Gelegentlich lassen wir uns auch mal zu Audio-Nachrichten hinreißen; aber bitte nicht länger als 2:30min. Telefonieren oder Briefe schreiben ist doch irgendwie Oldschool … oder etwa doch nicht?
Seit social-distancing unser Leben bestimmt, wird in Deutschland und weltweit nachweislich wieder öfter telefoniert. Nicht etwa mit diesen total komischen Geräten mit Schnur und Tasten aus den 90ern, sondern ganz modern mit Smartphone oder Laptop. Wir verabreden uns ganz traditionell und doch modern in Chat-Rooms, wir führen Telefonate und veranstalten Spieleabende. Somit sind wir oldschool, aber gleichzeitig innovativ und zukunftsorientiert.
Der Spieleabend mit Freunden ist eine tut gut und ist eine tolle Ablenkung zum alleine sein, jedoch ist es nicht das gleiche wie sich im wirklichen Leben zu treffen. Gleiches gilt für Telefonate und Chatten. Also nach der Corona-Krise vielleicht doch etwas mehr Oldschool als Digital!
Traumreise ins Ruhrgebiet
Samstag 15:30 Uhr:
Zeit für die Bundesliga! Eintracht Frankfurt hat heute eine ganz besondere Aufgabe vor der Brust. Es geht gegen … niemanden! Natürlich hat die aktuelle Situation auch Auswirkungen auf den Sport und so findet kein Fußball statt.
So ganz will ich aber nicht auf Stadion-Atmosphäre verzichten.
Und deshalb wird unser Wohnzimmer kurzer Hand zum Stadion um dekoriert. Stadion bauen statt Fußball schauen heißt für diesen Samstagnachmittag unser Motto. Und so schaffen wir es ein 3d-Modell der Veltins-Arena von Schalke 04 zu basteln. Passend dazu krame ich meinen Blindenfußball vom Dachboden hervor. Jetzt schmücken Veltins-Arena und Fußball unsere Wohnung und sorgen für ein wenig Fußball-Stimmung.
Außerdem erinnert uns die Veltins-Arena an das Ruhrgebiet. Ob man es glaubt oder nicht, aber meine Frau und ich sind große Fans vom Ruhrgebiet. Der Pott; das bedeutet für uns die Region wo viele Freunde von uns Leben, die Region, in der wir nach Corona mal leben möchten und die Region, wo wir gefühlt wöchentlich samstags hinfahren.
Mit Ausflügen nach Essen, Bochum oder Dortmund ist es zurzeit etwas kompliziert, aber dafür muss unser Wohnzimmer eben als Mini-Ruhrgebiet herhalten. Passend dazu habe ich eine Blindenschriftlandkarte von Nordrhein-Westfalen, auf der auch die wichtigsten Ruhrgebietsstädte verzeichnet sind. Wenn schon nicht im echten Leben, dann wenigstens ein Ausflug mit dem Finger auf der Landkarte.
Dazu am besten noch eine leckere Currywurst mit Pommes und ein gekühltes Bier. Grönemeyers Hit „Bochum“ oder das Steiger Lied dürfen selbstverständlich auch nicht fehlen.
Du fragst dich, wieso wir das Ruhrgebiet mögen und später dort leben wollen? Du denkst das Ruhrgebiet ist grau und hässlich? Als Blinder sag ich dir: „Grau, Grün, Blau oder weiß; für mich sieht alles gleich aus!“ Und ansonsten „Glück Auf!“ Ker ker, Watt bessres gibbet nich!
Einfach mal ne Runde kicken
Samstag 19:00 Uhr:
Wenn man schon ein 3-D Modell eines Fußballstadions im Wohnzimmer stehen hat, kribbelt es einem als Fußballfan ganz schön im Fuß. Und so schnappen wir uns den Blindenfußball und stürmen die Wiese vor unserer Haustür. Eine kleine Trainingseinheit Blindenfußball kann nicht schaden! Zwar gleicht die Wiese eher einem Acker als dem gepflegten Rasen in der Veltins-Arena, jede Menge Spaß haben wir aber trotzdem. Was unsere Nachbarn davon halten, dass unser Stadtteil neben einem angesagten Park jetzt auch ein Blindenfußball-Stadion hat, ist bislang noch nicht überliefert.

Ausgehen in der Balkonia-Bar Kassel
Samstag 22:30 Uhr:
Saturday Night, let’s have some fun…, doch nicht einmal die Clubs, Bars und Kneipen auf der „Fritze“ Kassels Party-Meile, die außer am Wochenende Friedrich-Ebert-Straße heißt, haben zur Zeit geöffnet.
Aber alles kein Problem, denn es gibt eine neue Bar in Kassel, die alles bis her Dagewesene in den Schatten stellt. Ich rede von der „Balkonia-Bar-Kassel“. Kennt ihr nicht? Noch so etwas, was in der Post-Corona-Epoche groß rauskommen wird. Best Cocktails in Town gemixt von der besten Barkeeperin der Stadt und selbstverständlich die angesagteste Musik aufgelegt vom angesagtesten DJ des Landes, dazu reinstes Summer-Feeling; und das alles umsonst und draußen. Naja, das mit dem umsonst stimmt natürlich nicht wirklich und ob unser Balkon jemals zur angesagten Bar wird darf zumindest bezweifelt werden. Trotzdem schmecken die selbstgemixten Cocktails ausgezeichnet.

Und Kirche kann eben doch modern
Sonntag 10:00 Uhr:
Ich weiß, viele nutzen den Sonntagvormittag lieber zum Ausschlafen als in den Gottesdienst gehen. Kirche ist doch nur was für alte Menschen und viel zu langweilig sind wohl die größten Vorurteile gegen die Kirche. Doch lass dich einmal auf einen Gottesdienst ein und du wirst dein blaues Wunder erleben; und dieses Mal rede ich nicht von einem Königsblauen Wunder vom FC Schalke 04. Kirche ist modern, weltoffen, aktuell und vor allem hilft ein Gottesdienst bei der Bewältigung der aktuellen Krise.
Du willst aber nicht in die Kirche gehen? Du weißt nicht wo der nächste Gottesdienst stattfindet? Näher als du denkst, nämlich bei dir zu Hause auf der Couch. Keine Sorge, es kommen kein Pfarrer und auch keine Gemeindemitglieder zu dir nach Hause, zumindest nicht persönlich. Aufgrund der aktuellen Lage werden zurzeit sämtliche Gottesdienste online zu dir auf die Couch gestreamt. Und du musst dir keine Gedanken machen, was du für Kleider in einem Gottesdienst anziehen sollst. Digitaler Gottesdienst funktioniert in der Jogginhose genauso wie im Sonntagshemd.
Für mich ist dies der wichtigste Termin im Home-Office J. Schneider, weil ich hier die Kraft bekomme, die man in dieser Krise benötigt.
Wie sieht zur Zeit euer Alltag aus und wie vertreibt ihr euch die Zeit?gerne könnt ihr mir einen Kommentar hinterlassen. Unter diesem Beitrag als Kommentar, auf Facebook oder als Persönliche Nachricht.