Noch 50 Tage


Der Count-down läuft und so langsam werden Vorfreude, Aufregung und Abschiedsschmerz größer.

In 50 Tagen oder sieben Wochen steige ich in den Flieger nach Brasilien, dann beginnt mein wahrscheinlich größtes Abenteuer, ein Jahr lang Brasilien, zwei Semester an einer brasilianischen Universität Theologie studieren und viel Zeit, das Land, die Leute, die Kultur und meine biologische Familie besser kennenzulernen. die letzten Wochen waren voll mit Vorbereitungen und das abarbeiten von meiner To-do Liste und je näher der Abflug rückt, desto voller scheint diese Liste zu werden.

Und leider nimmt auch die Liste an Menschen zu, die mich kritisieren, für das, was ich gerade mache, die nicht verstehen können, wie wichtig dieses Jahr in Brasilien für mich sein wird und vor allem die mir wegen meiner Blindheit nicht zutrauen meinen Weg in Brasilien zu gehen. Ist es wirklich so verrückt und naiv, als blinde Person ein Jahr im Ausland zu verbringen? Ist es wirklich so seltsam, dass ein Adoptivkind, was sein Leben lang auf Wurzelsuche war, den Wunsch hat ein Jahr lang in dem Land und bei den Menschen zu verbringen, wo es genetisch herkommt? Ist es wirklich so ungewöhnlich, dass ich trotz meiner Behinderung träume habe und alles dafür tue, diese Träume auch zu leben? Soll ich nur, weil ich schlechter sehen kann als die meisten anderen Menschen und dadurch so viele Probleme im Leben habe all das, wofür mein Herz schlägt und woran ich Freude habe, aufgeben und nur noch deprimiert zu Hause sitzen bleiben?

ich habe lange über diese Fragen nachgedacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass all das, was ich gerade mache, nicht verrückter oder komischer ist als mein ganzes Leben bisher. als ich von der Blindenschule auf die Inklusionsschule gewechselt bin, haben auch fast alle gesagt, dass ich scheitern werde und keine Chance habe, einen guten Schulabschluss zu bekommen. Bis auf meine Familie hat niemand daran geglaubt, dass ich es schaffen werde. Die Zweifler und Kritiker haben mich die ganze Schulzeit begleitet, bis ich letztlich mein Abitur in den Händen hielt.

und danach hörten die Leute nicht auf, schlecht über mich und mein Leben zu reden und mir jegliche Chancen und Perspektiven abzusprechen. Als ich alleine nach Berlin gezogen bin, haben die meisten Leute mich auch für völlig verrückt erklärt, so ganz alleine als blinde Person, in so einer großen Stadt und dann auch noch Theologie studieren.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass Leute nur darauf warten, dass ich endlich scheitere, endlich aufgeben muss und endlich zugeben muss, dass die Zweifler und Kritiker ja doch recht hatten. und das trifft auf blinde Menschen mindestens genauso zu wie auf sehende Menschen, oftmals sind blinde Menschen noch viel härter in ihren Vorurteilen und in ihrer negativen Sichtweise auf mich und mein Leben. Vielleicht ist mein Leben anders, weil ich viele Dinge mache, die andere blinde nie machen würden und die nicht in die beschränkte Vorstellungskraft von vielen Menschen passen. Meistens bin ich der erste und einzige blinde, der irgendwo auftaucht und der diesen Weg geht, den ich bisher gegangen bin.

aber ich folge den Weg, den Gott für mich vorbereitet hat. Ich vertraue darauf, dass da, wo ich hingehe Jesus schon längst da ist und jeden Weg mit mir geht, ganz egal, ob er mich nach Brasilien oder Deutschland führt oder an einem ganz anderen Ort. und mit dieser Kraft und Hoffnung im Herzen bin ich sehr zuversichtlich, dass ich mit Gott an meiner Seite alles schaffen kann! Nicht, weil ich irgendein besonderer Held mit Superkräfte bin, sondern weil ich auf die Kraft von Gott vertraue und weiß, dass Jesus immer an meiner Seite sein wird.

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