Das Leben besteht nicht nur aus Sonnenscheintagen. Wir alle haben Phasen im Leben, in denen es nicht so läuft, wie wir uns das vorgestellt haben und es uns schlecht geht. in einer Welt, die immer nur auf Perfektionismus ausgelegt ist sprechen wir in der Regel nicht so gerne über diese Phasen im Leben. Wir wollen immer nur die Sonnenseite zeigen, wie toll unser Leben ist und wie gut wir alles unter Kontrolle haben. Und trotzdem; es gibt sie die Phasen, in denen wir nicht am feiern sind, in denen wir nicht auf der Sonnenseite stehen und in denen wir das Gefühl haben, nichts unter Kontrolle zu haben.
In vielerlei Hinsicht war das letzte halbe Jahr für mich so eine Phase. Dabei hatte das Jahr doch gut gestartet: Mein Studium am theologischen Studienzentrum Berlin(TSB) ist richtig gut gestartet, ich habe mich in Berlin mehr und mehr eingelebt und richtig viele Freunde gefunden und war bereit voller Hoffnung, Freude und Zuversicht hinaus in die Welt zu gehen.
Nachdem ich in den Jahren davor durch emotionale Krisen gehen musste sollte 2022 mein Jahr werden, indem ich endlich anfange meine Träume zu verwirklichen und in dem alles gut wird. Doch wie so oft kam alles ganz anders: alles fing mit einer Infektion an meinem linken Auge bereits im August/September 2021 an. Ich verspürte plötzlich sehr starke Augenschmerzen und suchte einen Augenarzt in Berlin auf. Der verschrieb mir Medikamente und erklärte mir, dass ich wohl nicht allzu große Hoffnungen haben sollte, da meine Augen durch die vielen Operationen bereits so geschwächt wären, Das es wohl nur eine Frage der Zeit sei, bis die Schmerzen so schlimm sind, dass nur noch eine Augenentfernung helfen würde. Zunächst schockte mich diese Diagnose nicht besonders, schließlich weiß ich das schon seit etwa zehn Jahren, dass ich mich früher oder später mit dem Thema auseinander setzen muss.
Durch die Medikamente verbesserte sich die Situation mit meinen Augen auch recht schnell und ich begann zu glauben, dass ich und meine Augen noch ein bisschen Zeit miteinander bekommen. Mein Leben in Berlin lief weiter: die Uni ging los und damit für mich einer der schönsten Zeiten in meinem Leben. Schnell hatte ich die Situation mit meinen Augen vergessen, bis dieses Jahr im Februar die Augenschmerzen zurückkamen. erst ganz langsam, aber schnell wurden Sie immer stärker und unerträglich. Die Diagnose der Ärzte lautete dann auch: wir müssen das linke Auge entfernen, weil alle anderen versuche die Schmerzen einzudämmen scheiterten.
Und plötzlich war das Thema, was zwar seit zehn Jahren immer irgendwie im Hintergrund da war, aber trotzdem sich immer so weit weg angefüllt hat ganz nah und nackte Realität. Die Schmerzen wurden schließlich so stark, dass ich nicht mehr in die Uni gehen konnte und zu Hause bleiben musste. Plötzlich war ich abgeschnitten von dem Leben, was mir so gut getan hat und von der Gemeinschaft, die mich aufgebaut hatte und immer mit Liebe empfangen hatte. Da die Augenschmerzen an der frischen Luft schlimmer wurden konnte ich eigentlich nur zu Hause in meinem Zimmer sitzen und erlebte sehr viel Einsamkeit und Traurigkeit. Von dem positiven Leben war plötzlich nicht mehr so viel übrig.
Es war nicht leicht für mich, mich so plötzlich auf diese Situation einzustellen. Ich hatte so viele Fragen: wie würde es sich anfühlen mit nur noch einem Auge? Würde ich mich an ein Kunstauge gewöhnen können? Wie würden meine Mitmenschen darauf reagieren? und warum greift Gott in dieser Situation eigentlich nicht ein und nimmt mir diese Schmerzen weg? Reicht es nicht einfach nur blind zu sein, warum muss ich jetzt auch noch durch diese Situation durch? Es waren viel zu viele Fragen, auf die ich keine Antworten fand. und trotz allen durfte ich erleben, dass Jesus mich auch jetzt nicht im Stich lässt und mich weiter versorgte. Ich durfte erleben, was es bedeutet echte Freunde an meiner Seite zu haben, die auch dann zu mir stehen, wenn ich nicht die beste Version von mir selbst bin, sondern es mir nicht gut geht. Ich wurde besucht, getröstet, in den Arm genommen, ermutigt und getragen in dieser Zeit.
Viele Leute sagen mir immer, dass ich ein starker Kämpfer wäre, Der schon so viele schwierige Situationen gemeistert hat und dass ich auch diese Situation bewältigen würde. Um ehrlich zu sein habe ich mich nie als Kämpfer gesehen und auch in dieser Phase habe ich mich nicht besonders stark gefühlt. Das, was mir in dieser Situation Kraft und stärke gegeben hat war Jesus mit seiner Liebe und mein Umfeld aus Freunden, Familie und Bekannten, die für mich stark waren, als ich nicht stark war. Eine gute Freundin sagte mal zu mir: ich müsse durch diese Situation nicht alleine gehen, weil hinter mir eine große Gemeinschaft an Menschen steht, die mit mir dadurch geht, für mich betet, mich durch trägt und in den Momenten stark ist, in denen ich es nicht schaffe. Damit hat sie genau das ausgesprochen was ich gefühlt und erlebt habe.
Eine Woche ist die Augen-Operation jetzt schon her, bei der mein linkes Auge entfernt wurde. Auch wenn es aufgrund der Schmerzen in den letzten Monaten alternativlos war fühlt es sich manchmal immer noch seltsam an mit nur noch einem Auge. Der Heilungsprozess verläuft gut; sagen die Ärzte, ich werde mich an das Leben mit Glasauge sehr schnell und sehr gut gewöhnen, blind bin ich ja sowieso schon und überhaupt, ich hätte ja schon so viel in meinem Leben geschafft und ausgehalten, dann dürfte mich diese Situation nicht aus der Bahn werfen; sagen viele Leute aus meinem Umfeld um mich zu ermutigen.
ja, ich glaube auch ganz fest daran, dass ich mich auch an diese Situation gewöhnen kann, ich glaube fest daran dass ich mich zurückkämpfen werde und ich glaube ganz fest daran, dass auch ein verlorenes Auge mir meine Lebensfreude nicht nehmen kann. Und trotzdem ist da gerade dieses Gefühl von Leere, Kraftlosigkeit und Ratlosigkeit. Gerade fühlt sich mein Körper unvollständig an, das Implantat in meinem Auge wie ein Fremdkörper und die emotionale Belastung wie eine große Herausforderung. Womit ich gerade so viel zu kämpfen habe werde ich manchmal gefragt: vielleicht damit, dass mir wohl nur wenige Wochen bleiben, bis auch noch mein rechtes Auge entfernt werden soll, vielleicht mit der Tatsache, dass es mal wieder eine Augenoperation war, bei der ich nichts tun konnte außer zuzusehen, wie meine Augenerkrankung Mir erst Stück für Stück mein Augenlicht nahm und jetzt nacheinander auch noch meine Augen zerstört, vielleicht weil ich mich frage, wie eine Gesellschaft, die sowieso des Öfteren verletzend und abwertend mit meiner Behinderung umgeht auf die Tatsache reagieren wird, dass ich jetzt ein, und bald sogar zwei Kunstaugen habe, oder vielleicht auch einfach damit, dass es wieder eine neue und ungewohnte Situation ist, mit der ich klarkommen muss und an die ich mich gewöhnen muss und wieder zurückkämpfen muss. Die letzten Jahre waren insgesamt nicht einfach für mich: Freundschaften und Beziehungen die in die Brüche gegangen sind Weil Menschen mich als wertlos wegen meiner Behinderung ansehen und emotional viel Schaden angerichtet haben. Ich habe immer dafür gebetet, dass Gott mir Menschen an die Seite stellt, die kein Problem mit meiner Behinderung haben und dass ich eine Frau finde, die mich so liebt wie ich bin mit allem was mich ausmacht und auch die Behinderung lieben kann. In den letzten Jahren musste ich leider oft erleben, wie Freundschaften in die Brüche gehen, weil Menschen ein Problem in meiner Behinderung sahen und wie sich eine Beziehung negativ entwickelt, weil meine Behinderung zwischen uns stand. Und dann auch noch diese Situation und ich frage mich, woher ich die Kraft nehmen soll das alles auch noch zu tragen. Das einzige, was mir bleibt ist die Gewissheit, dass Jesus mich auch jetzt nicht im Stich lässt und mich mit alldem versorgt, was ich brauche um diese Situation gut zu überstehen.
Und trotzdem möchte ich all diesen negativen Gedanken nicht zu viel Raum lassen, ich möchte nicht, dass die Blindheit die Oberhand in meinem Leben gewinnt und mir auch noch meine Lebensfreude nimmt. Ich möchte nicht, dass die Menschen, die behaupten mein Leben sei weniger wert und ich würde nichts hinbekommen dadurch recht bekommen, weil mich die Traurigkeit so sehr übermannt dass ich mich nur noch zurückziehe. Ich möchte mutig und lebensfreudig meinen Weg weitergehen, voller Hoffnung darauf, dass auch irgendwann wieder bessere Tage auf mich warten und dass Gott einen guten Plan für mich und mein Leben hat. Auch wenn es gerade schwer fällt: ich möchte auch aus dieser Situation gestärkt und motiviert zurückkommen und mich von Gott stärken lassen, so wie ich es bis jetzt nach jedem Rückschlag in meinem Leben geschafft habe. Nicht weil ich ein so toller Kämpfer bin, sondern weil Jesus mir immer genau die Kraft gegeben hat, die ich gebraucht habe und weil er mich immer mit Menschen versorgt hat, die es gut mit mir meinen, mich so annehmen wie ich bin und mir ganz viel Liebe, Kraft und Geborgenheit schenken.
Doch wie gehe ich jetzt konkret mit dieser Situation um? Ich spreche viel mit Jesus über die Situation und erzähle ihm von meinen Sorgen, meiner Wut und meiner Verzweiflung. Ich bin mir sicher, dass Gott ein einfühlsamer Gott ist, der zuhört und unsere Gefühle versteht. Da darf sich Jesus gerade auch eine ganze Menge von mir anhören. Ich bedanke mich aber auch immer wieder bei ihm dafür, dass er mich auch jetzt nicht alleine lässt und mir auch so viele schöne Dinge in meinem Leben gegeben hat und immer wieder gibt. Und ich frage Jesus, was sein Plan für mein Leben ist und wie ich meine Berufung mehr und mehr erkennen kann. Ich bin davon überzeugt, dass Gott auch mit dieser Situation etwas Gutes vorhat und das, was ich gerade alles erlebe dafür verwenden wird um mich auf das Leben vorzubereiten, was er mit mir vorhat. Ich habe eine Playlist mit christlichen Liedern. Dort sind sehr viele ermutigende Lieder dabei, die mir gerade jetzt viel Halt und stärke geben. Und ja, da sind auch sehr viele fröhliche Lieder dabei, auch sehr viel brasilianische Samba Musik mit christlichen Texten, es gab schon so manche Worship-Party in meinem Zimmer.
In einem Lied der Band Glaubenszentrum, was bei mir gerade rauf und runter läuft heißt es: „Mein Gott ist größer als Lüge, Größer als Hass, größer als Tod und Gewalt, Größer als jeder Umstand, größer als Angst. Mein Gott ist der Größte.“ Diese Zeilen ermutigen mich immer wieder an dem Vertrauen auf Gott festzuhalten. Ich bin davon überzeugt, dass Gott stärker und größer als meine momentane Situation ist und dass es keinen Umstand gibt, aus dem Gott nicht noch eine positive Situation entstehen lassen kann. Und Jesus ist auch größer als alle negativen Lügen, die andere Menschen über mich und mein Leben ausgesprochen hat. Ich will lernen mich mehr und mehr so zu sehen, wie Jesus mich sieht und das Potential entdecken, was er in mich gelegt hat.
Und ich spreche viel mit meinen Freunden und meiner Familie in Deutschland und Brasilien über diese Situation. Gott hat mir so viele Menschen an die Seite gestellt, die mit mir mitfühlen und für mich da sind, dieses Netzwerk an Unterstützung darf ich gerade sehr genießen und es hilft mir dabei neue Perspektiven zu entwickeln.
Und ich entwickle gerade sehr viele Träume und Ideen für die Phase, in der es mir wieder besser gehen wird. Und diese Tage wird es geben, an denen beide Operationen geschafft sind und die Schmerzen endlich weg sind. Dann will ich viel erleben, die Welt weiter entdecken, tolle Dinge mit meinen Freunden erleben und weiter mit Jesus unterwegs sein. Jetzt habe ich gerade viel Zeit zum ausruhen und innehalten, aber in dieser Zeit kann man all die schönen Dinge schon planen und davon träumen.
Es kommt nicht darauf an, wie oft man fällt, wichtig ist nur dass man einmal mehr aufsteht als man hinfällt! Meine Blindheit wird erst dann zu Behinderung, wenn ich zulasse, dass sie mein Herz erobert und mir meine Lebensfreude nimmt! Wir können nie tiefer fallen als in die Arme von Jesus, der uns immer wieder aufrichtet und uns neue Kraft gibt. Man sieht nur mit dem Herzen gut, die wahren Dinge sind für das menschliche Auge unsichtbar…
Die Zukunft wird wunderbar! Lasst uns voller Hoffnung, Zuversicht und Lebensfreude sein; für uns und vor allem für unsere Mitmenschen
vielen Dank an dieser Stelle auch an alle Menschen, die an mich denken, für mich beten und für mich da sind! Ohne ein so starkes Umfeld wären viele Situationen für mich nicht auszuhalten.